Viele Erinnerungen und Aha-Erlebnisse verbinde ich mit dem steirischen herbst und dem musikprotokoll. 50 Jahre sind eine lange Zeit – manchmal sogar ein Menschenleben.

In den ersten Jahren beim musikprotokoll war ich aktiv dabei und dann später als regelmäßige Besucherin der meisten Veranstaltungen. Egal ob Handke, Bauer oder Pasolini, Ligeti, Penderecki, Eisler oder Krenek – ich habe die Kultur aufgesogen wie ein Schwamm und konnte nicht genug kriegen von all der spannenden Avantgarde. Nicht dass mir immer alles unbedingt gefallen hätte, nein, bei manchen Darbietungen musste ich lachen oder war verärgert, wenn meiner Meinung nach die Qualität des Dargebotenen zu wünschen übrig ließ.

Cerha`s “Spiegel” in der Binder-Halle in Gleisdorf – ein Erlebnis.Die Aufführung der jungen Gruppe La Fura dels Baus in der Wagner-Biro-Halle, bei der sich nackte Menschen wie bei einer Geburt aus an der Decke hängenden, mit Wasser gefüllten Nylonsäcken heraus wanden. Unglaublich und ergreifend. Oder Laurie Anderson, die im Opernfoyer durch die Luft schwebte, die trigon-Ausstellungen oder Zygmunt Krauses “Fête galante et pastorale” im Schloß Eggenberg, in dem anfangs auch die herbst-Eröffnung statt fand.

Luigi Nono durfte ich vom Bahnhof abholen und auf der Fahrt zum Hotel fragte er mich über den Kommunismus in Österreich aus, Ernst Krenek und seine Frau Gladys waren bei uns zu Hause zu Gast, ebenso die Witwe Franz Schrekers und unzählige Musiker, Kritiker, Wissenschaftler etc. Lange Zeit gab es ein musikwissenschaftliches Symposion zu den diversen Komponisten, denen das Hauptaugenmerk des jeweiligen musikprotokolls galt.

Aber auch die Bezugspunkte 38-88  waren etwas ganz Besonderes. Von den herbsten in den letzten Jahren ist mir vor allem “truth is concrete” von 2012 in bester Erinnerung, mit seinem Marathon-Camp und dem Turm aus recycelten Fenstern und Türen vor der Thalia. Insgesamt habe ich für mich aber nicht mehr so viele Aha-Erlebnisse wie anfänglich gehabt.

Das hängt sicher einerseits mit meinem Alter zusammen bzw. weil ich einfach schon sehr sehr viel gesehen habe und andererseits auch mit – und das ist jetzt nach vielen Gesprächen mit Freunden und Freundinnen nicht nur meine subjektive Meinung – mit häufig mangelnder Qualität, die unter anderem oft durch Lautstärke oder Länge des Dargebotenen kompensiert wird.

Skandal ob eines nackten Darstellers oder einer herunter gelassenen Hose auf einem Plakat gibt es ja schon lange nicht mehr. Und auf Grund des allumfassenden Internets gibt es natürlich auch kaum mehr Überraschungen bzw. etwas wirklich Neues.

Trotz allem bin ich aber gespannt darauf, was uns der 50. steirische herbst in seiner großen Bandbreite zu bieten hat und wünsche ihm gutes Gelingen und ein tolles Publikum.

Vilja Neuwirth, Graz

 

steirischer herbst 1991
La Fura del Baus: Noun, Waagner-Biro Halle IX
Foto: stefanharing.com