Die Lieder dieser Gruppe kannte man nicht aus der Musicbox, die damals noch auf Ö3 (!) zu hören war. Nein, aus slowenischen Radiosendern, deren Frequenzen sich in den frühen 1980-er Jahren in Graz herumgesprochen hatten. Sechs Jahre nach der Gründung in Trbolvje trat Laibach im Festival „Keine Gnade“ auf. Spät und doch früh. Der zweite Act im Rahmen des fünftägigen Musikprogramms, nach The Fall und vor Family 5 (mit dem formidablen Xao Seffcheque und dem grandiosen Soul-Punk-Heroe Peter Hein) sowie . Kein Witz. Popkulturglanzlichter im herbst. Ein Abend am Lendplatz 40. Halbverfallene Industriearchitektur, viele schwarze Spitzkurbler aus Second Hand-Läden und eine vollmundige Ankündigung: „Konzert zur Abschaffung aller mächtigen, faschistischen Syndikate“. Aha. Eine vorauseilende Entschuldigung? Denn: Zu sehen und hören sind nackte Männeroberkörper, Hirschgeweihe, heroische Gesten, eine Fliegermütze, archaische Trommelexzesse und Jagdhörner. Ursuppen-Symphonie. Wuchtig, schweißtreibend, betörend. Kein Tanzen, nur stehen. Und schauen. Hören. „Wann immer wir Kraft geben, geben wir das Beste“: die Coverversion von „Live is Life“ von Opus. Ein Pop-Sommerhit made in styria als düstere Ballade mit pseudovölkischem Einschlag. „Leben heißt Leben“. Post-Industrial-Holzfällerei in akustischer Zeitlupe. Brandaktuelle Retroavantgarde. Hat in Wahrheit gar Opus Laibach gecovert? „Popmusik ist für Schafe und wir sind die Wölfe, die sich als Schäfer verkleidet haben“, behaupten Laibach. Viel Attitüde, inszenierter Monumentalismus und doch gibt es kein Entrinnen. Die Schafe agieren im Bann des schwarzen Kreuzes. Es dröhnt: „Ein Schauspieler“. Laut und wild. Eine Rundum-Ermunterung. Nach dem Konzert? Ins Q. Mit der Klubkarte. Keine Nachbesprechung. Trinken, trinken und auf der Tanzfläche auf Laibach warten. „In der Kunst schätzen wir Humor, der keinen Spaß versteht“, sagt die Band. Recht hat sie.

 

Martin Behr ist Mitglied der Künstlergruppe G.R.A.M., Journalist bei den Salzburger Nachrichten und Mitherausgeber des „herbstbuch 1968-2017“.

 

Salzburger Nachrichten, 14. 10. 1986