„Keep distance to your partner, because you are upset of her“, verlangte der argentinische Regisseur Federico Leon von Eugen Gross, als er mit Heide Gaidoschik auf der Bühne der Listhalle die Probe zu „Las Multitudes“ leitete. Sein Regieassistent hatte am Boden zwei Striche markiert, die nicht überschritten werden durften.

Die Proben zu dem 2013 im Rahmen des „Steirischen Herbstes“ aufgeführten Stückes, dessen Autor auch der Argentinier war, gingen gut vonstatten. Für die langen Pausen der Protagonisten, die jeweils in Gruppen von 12 oder 24 zu den einen halben Tag laufenden Proben gerufen wurden, gab es ein Buffet, um sich stärken zu können. Brot, Aufstriche, Getränke und Suppen standen zur Verfügung.

Die auf der Bühne agierenden unterschiedlichen Generationen, jeweils in Gruppen von zwölf Männern und Frauen, versammelten sich backstage an Biertischen, um zu essen und sich zu entspannen. Nur eine Gruppe von zwölf Damen gesetzteren Alters ließ sich in einem Eck des Raumes nieder, um mit der Suppenschale in der Hand Konversation zu führen.

Heide Gaidoschik, wie Eugen Gross für dieses Stück gecastet, entschloss sich, die Suppe an einem der provisorisch aufgestellte Biertische zu sich zu nehmen, nicht ohne zu übersehen, dass Eugen noch immer traurig in die leere Suppenschale schaute. Eher aus Trägheit, um sich nicht in der langen Reihe anstellen zu müssen. Sie brachte gleich zwei gefüllte Schalen zum Tisch und wünschte ihrem laut Regieanweisung „schief gewickelten Ehepartner“ – den er spielen sollte – „Guten Appetit“.

Der Bann war gebrochen. Die „Begegnung“, wie sie der französische Philosoph Alain Badiou als Herausforderung auffasst, eine von Anfang an bestehende Gegnerschaft zu überwinden, ging vonstatten. Auf der Bühne und dahinter. Aus der Ansammlung der beim nächtlichen Dorffest miteinander konkurrierenden Gruppen bahnte sich bei einem Tanz eine Versöhnung an, die zuerst die Alten, dann die Jungen erfasste. Als ein vom Regisseur verlangter Kuss unter den Paaren von Eugen und Heide als Aufmunterung für die sich teilweise zierenden Teenager empfunden wurde, waren sie bereit, der Regieanweisung willig Folge zu leisten.

Das Buffet hinter der Bühne bot weiterhin Gelegenheit für Gespräche in lockerer Atmosphäre. Die Mitnahme im Auto für den Heimweg wurde Heide angeboten und von ihr gerne angenommen. In der „Scherbe“, wo sich überraschenderweise nur die jugendlichen Mitwirkenden der Performance zur Produktions-Nachfeier traf, erfuhren Eugen und Heide mehr voneinander. Sie blinzelten sich liebevoll an.

Dabei traf sich die Theatervergangenheit von Heide, einst Reinhardt-Seminaristin und später Ballettlehrerin – mit der Affinität von Eugen zu Kunst und Architektur als Interessensgebiete. Aus der Biografie ergab sich, dass zum Teil andere Wahrnehmungsweisen sich ergänzten. Die eines „Augen-Typs“ und eines „Ohren-Typs“. In den nach der Aufführung folgenden Wochen traf man sich öfters im Restaurant oder Café, um sich in vielen Dingen auszutauschen. Nach einem halben Jahr reifte bei einem Besuch am Lago Maggiore der Wunsch, zusammenzuziehen und eine Lebenspartnerschaft zu beginnen. Dies wurde vollzogen und die große Wohnung von Heide bot dazu die Gelegenheit.

Überraschend war, dass zwei Jahre später eine der Betreuerinnen bei der Theaterperformance beide darauf ansprach, mit ihnen im Rahmen ihres Studiums der Theaterpädagogik ein Stück zu entwickeln, das anschließend auch zur Aufführung gebracht werden sollte. Heide und Eugen stellten sich darauf ein, wieder auf der Theaterbühne zu stehen, und boten ihr großes Wohnzimmer als Probenraum an. Das Stück „Schillerstrasse“ war geboren, das nach einer Premiere im Grazer „Stockwerk“ an einigen Orten in der Steiermark gespielt wurde. Auch sich für eine Neuproduktion im Steirischen Herbst 2017 bereit zu erklären, wurde nicht ausgeschlossen.

Dass ein Regisseur des „Steirischen Herbstes“ zwei Personen, die auf der Bühne in wechselvoller Gefühlslage für kurze Zeit vereint waren, zu einer tiefergreifenden Beziehung verhalf, kann als eine schöne Nebenerscheinung des Festivals angesehen werden.

Eugen Gross & Heide Gaidoschik, Juni 2017